Naturschutzverein
Obershausen

Leben mit dem Wolf im Kallenbachtal –
Informationen und Empfehlungen für unsere Region

Naturschutzverein Obershausen e.V./TSN 11.8.2025


Es gab bei uns im Kallenbachtal nicht nur wiederholt Wolfssichtungen, sondern bereits Wolfsrisse. Die Verunsicherung ist groß und die Wogen der unvermeidlichen Diskussionen gehen hoch.

Die Rückkehr des Wolfs in unsere Region bringt Veränderungen für Mensch und Tier mit sich, teils erfreuliche, teils herausfordernde. Aus gegebenen Anlässen sieht es der Naturschutzverein Obershausen e.V. auch als seine Aufgabe an, hierüber zu informieren und hat dazu diese Handreichung auf Basis von Recherchen erstellt. Sie bietet Informationen über das Zusammenleben mit Wölfen und gibt praktische Empfehlungen für Tierhalter, Naturliebhaber und die betroffene Bevölkerung.

Der Wolf ist neben Wildschweinen (v.a. Bachen mit Frischlingen) und (wilden) Hunden das einzige hiesige (Raub-)tier, von dem tatsächlich Gefahr für Leib und Leben ausgehen kann [1, 2, 3, 4]. Er wurde sehr konsequent bejagt und war bei uns seit 1870 praktisch ausgerottet. Durch den Fall des "eisernen Vorhangs" wandern seit den 90er Jahren wieder Wölfe aus Osteuropa zu, die Population hat erheblich zugenommen [5].

Die tatsächliche Zahl der in Deutschland heute (2025) lebenden Wölfe ist nicht bekannt, zumal die zur Zählung herangezogenen DNA-Proben (z.B. aus Rissen) oft aus diversen Gründen "nicht auswertbar" sind. Daher sind alle Zahlen - auch die im Folgenden hier angegebenen - mit Vorsicht zu interpretieren, es gibt sicher erhebliche Dunkelziffern.


1. Wölfe und Tierhaltung

Wolfsrisse sind die spektakulärste Konsequenz der wachsenden Wolfspopulationen. Auch bei uns im Kallenbachtal kam es bereits mehrmals zu Angriffen u.a. auf ein Wildtiergehege mit beträchtlichen Schäden am Gatterwild [6, 7]. Daher wenden wir uns diesem Aspekt zuerst zu.

Die Anzahl der Wolfsübergriffe auf Nutztiere hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Laut der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) [8] betrafen die von Wölfen getöteten oder verletzten Nutztiere weit überwiegend Schafe oder Ziegen. Jedoch sind auch Gatterwild und Rinder (meist Kälber) betroffen. Pferde sind übrigens keineswegs sicher, obwohl man oft unterstellt, dass sie sich verteidigen könnten.

Da Nutztiere praktisch immer eingezäunt sind, können sie bei einem Wolfsangriff nicht effektiv flüchten. Vielmehr triggern ihre panischen Fluchtbewegungen bei den Wölfen trotz bereits erlegter Beute den Jagdtrieb, was zu weiteren Rissen führt. In Deutschland werden deshalb durchschnittlich 3-4 Tiere pro Wolfsübergriff getötet.

Die Zahl der von Wolfsrissen betroffenen Nutztiere (einige Tausend) ist im Verhältnis zu ihrer Gesamtzahl (Millionen) sehr gering und die finanziellen Schäden werden vom Staat ersetzt, wobei dies angeblich sehr bürokratisch gehandhabt wird. Trotzdem ist jeder Einzelfall für die betroffenen Halter sehr belastend. Oftmals sind z.B. die überlebenden Tiere traumatisiert und verletzte Tiere müssen notgeschlachtet werden.



Entwicklung des Wolfsbestands und der Wolfsübergriffe in Deutschland sowie der getöteten, verwundeten und vermissten Nutztiere von 2015 bis 2022.
entnommen aus Weiler M., „Die Rückkehr der Wölfe – Ein Statement.“ Pferdespiegel 2024; 27(03): 111 - 118. doi:10.1055/a-2318-4750 [9]



Oft werde dazu folgende Empfehlungen und Kommentare abgegeben:

1. Elektrifizierte Zäune: Mindestens 90 cm hoch mit bodennaher Spannung, um das Überspringen oder Untergraben zu verhindern. Hinweis: Es wird berichtet, dass Rudel sogar 1,80 m hohe Zäune (nicht elektrisch) überwunden haben.

2. Nachtschutz: Einstallen der Tiere oder Verwendung von wolfssicheren Unterständen während der Nachtstunden.

3. Herdenschutzhunde: Rassen wie der Kangal oder Pyrenäenberghund können vor Wolfsangriffen schützen. Typisch sind mindestens 3 Hunde pro Herde. Ihre Ausbildung und Haltung sind jedoch sehr anspruchsvoll, da solche Hunde u.a. wg. ihrer großen Autonomie und Kraft völlig andere Verhaltensweisen als typischen Haushunde aufweisen.

4. Förderprogramme: Es gibt diverse regionale Fördermöglichkeiten für Schutzmaßnahmen.

5. Meldung von Rissen: Frühzeitige Meldung von Übergriffen ist wichtig für Entschädigungen und zur Dokumentation. Unbedingt darauf achten, dass kein Hund in die Nähe des Risses gelangt, weil sonst wg. der Hunde-DNA die Proben als "nicht auswertbar" oder als Hunderiss klassifiziert werden könnten.


Unser Kommentar dazu: 

Vor diesem Hintergrund sind die Sorgen der Tierhalter und deren kritische Betrachtung des Wolfsbestands verständlich und sollten unserer Meinung ernster genommen werden. Die Probleme bürokratisch-dogmatisch auf dem Rücken der Halter schön zu reden führt kurzfristig zu Verbitterung, langfristig zur Aufgabe der Nutztierhaltung und Staatsverdrossenheit. Dem Naturschutz ist nicht gedient, wenn er dogmatisch durchgesetzt wird und so die Akzeptanz leidet.


2. Wölfe und Naturraum

Ein sehr positives Bild ergibt sich dagegen, wenn man den Einfluss von Wölfen auf die lokale Fauna und Flora in den Blick rückt [10].

Denn die Anwesenheit von Wölfen beeinflusst das Verhalten von Wildtieren. Durch die sogenannte “Landschaft der Angst” [11] meiden Beutetiere offene Flächen und verändern ihre Bewegungsmuster. Da Wölfe sich bevorzugt entlang freier Achsen bewegen, wozu Straßen und die daneben liegenden Freiflächen gehören, meiden Wildtiere diese Straßenbereiche, was die Zahl von Wildunfällen reduziert.

Wölfe regulieren naturgemäß die Populationen ihrer Beutetiere, was den Wildverbiss reduziert und zu einer gesünderen und vielfältigeren Flora und Fauna beiträgt. Diese Effekte sind erheblich und übersteigen wohl die Möglichkeiten der "Entnahme" durch Jäger.

Angesichts des Artensterbens und der durch die industrielle Landwirtschaft ausgeräumten Naturräume ist aus ökologischer Sicht eine Wolfspopulation somit wünschenswert. Wölfe waren und sind wieder Teil unseres Naturraums und stehen daher unter strengen Schutz. Ihre Populationsdichte reguliert sich eigentlich auf natürliche Weise. Jedoch ist ein erheblicher Anteil der in Deutschland gefundenen toten Wölfe Opfer von Verkehrsunfällen geworden. Der Anteil liegt bei 70-80 % der Totfunde.


Unser Kommentar dazu:

Als Naturschützer begrüßen wir grundsätzlich die Rückkehr des Wolfes, sehen aber auch die Notwendigkeit, damit pragmatisch umzugehen. 

So ist eine Bejagung manchmal durchaus angezeigt und „Entnahmen“ sollten dann unbürokratisch möglich sein. Daher begrüßen wir die Entscheidung des EU-Parlaments, in Anpassung an die Berner Konvention den Schutzstatus des Wolfs in der EU von „streng geschützt“ auf „geschützt“ herabzustufen [12].



3. Wölfe und Menschen

Die folgenden Empfehlungen wurden aus diversen Quellen zusammengestellt [u.a. 13, 14, 15, 16].

Wölfe meiden Menschen konsequent, solange sie nicht angefüttert wurden und dadurch ihre natürliche Scheu verlieren. Auch an Tollwut erkrankte Wölfe suchen die Nähe des Menschen. Die Tollwut ist allerdings hierzulande ausgerottet und angefütterte Wölfe sind glücklicherweise (noch) extrem selten. Unabhängig davon gilt, dass solange Wölfe durch Jagd auf Wildtiere ausreichend ernährt sind, ist die Gefahr räuberischer Angriffe auf Menschen als sehr gering anzusehen.

Die häufigste Begegnung zwischen Wölfen und Menschen sind direkte Sichtungen auf große Entfernung (über 100 m). Die Wölfe ziehen sich in der Regel zurück, wenn sie Menschen bemerken. In den sozialen Medien werden oft kurze Filmsequenzen derartiger Sichtungen verbreitet. Diese sind entgegen anderslautenden Einlassungen kein Beleg realer Gefahren.

Besonders junge Wölfe suchen manchmal aus Neugier die Nähe von Menschen, ohne dabei aggressiv zu sein. Solange man dabei die unten stehenden Empfehlungen beachtet, besteht keine Gefahr.

Aggressives Verhalten von Wölfen gegenüber Menschen ist extrem selten und dann meist verbunden mit Krankheit (Tollwut) oder vorheriger Anfütterung. Weltweit gab es zwischen 2002 und 2020 (18 Jahre!) insgesamt 489 dokumentierte Wolfsangriffe auf Menschen, von denen 26 tödlich endeten. In Europa und Nordamerika wurden in diesem Zeitraum 14 Angriffe registriert, zwei davon mit tödlichem Ausgang (beide in Nordamerika). In Europa gab es keinen dokumentierten Todesfall durch Wolfsangriffe. Somit ist es hierzulande wahrscheinlicher vom Blitz als vom Wolf getroffen zu werden [17]. (Jährlich werden in Deutschland etwa 110 Menschen vom Blitz getroffen, davon sterben im Durchschnitt 4 bis 8 Personen.)


Wie soll man sich bei Begegnungen mit Wölfen verhalten?

  • Ruhe bewahren: Keine Panik zeigen und nicht weglaufen!
  • Lärmen: Laut rufen, Klatschen oder langsam die Arme bewegen.
  • Rückzug: Langsam und kontrolliert zurückweichen, ohne dem Wolf den Rücken zuzuwenden.
  • Auf keinen Fall anlocken oder füttern! Niemals Wolfsbauten aufstöbern oder an Jungtiere herangehen etc.!


Vorsichtsmaßnahmen:

  • Trillerpfeifen oder Taschenlampen können auf Wölfe abschreckend wirken.
  • Besonders in waldnahen Gebieten sollten Kinder immer beaufsichtigt werden.
  • Reizgas (Pfefferspray) kann wirksam sein, aber man sollte damit tatsächlich umgehen können (Windrichtung!).
  • Eine Schreckschusspistole kann Wölfe vertreiben ("Kleiner Waffenschein" nötig!)


4. Wölfe und Hunde

Wölfe dulden grundsätzlich keine Caniden (u.a. Hunde) in ihrem Revier, sondern nehmen sie als Konkurrenten oder potenzielle Bedrohung wahr. Freilaufende Hunde, insbesondere in Wolfsgebieten, können daher sehr gefährdet sein. Denn wenn Wölfe auf domestizierte Haushunde treffen, haben Hunde kaum eine Chance aus dieser Begegnung unbeschadet hervorzugehen. Auch ist es ein Irrglaube, einen Hund, der sonst "gut hört", aus so einer Situation abrufen zu können, da Wölfe sehr schnell und agil sind und dem Abruf zuvorkommen.

Kleine Hunde werden von Wölfen manchmal als weniger gefährlich oder sogar als Nahrungsquelle wahrgenommen und zunächst interessiert betrachtet. Aber gerade kleine Hunde verkennen wegen ihrer oft sehr menschenbezogenen Haltungsbedingungen bei Begegnungen mit Caniden die Situation völlig und triggern durch ihr Verhalten beim Wolf eine aggressive Reaktion, die für einen kleinen Hund dann sehr schnell gefährlich werden kann.

Mittelgroße und große Hunde stellen aus der Sicht des Wolfs stets eine Bedrohung dar, weshalb der Wolf – trotz eines etwaigen beschwichtigenden Verhaltens des Hundes - sehr wahrscheinlich aggressiv reagieren wird. Denn Demutsgebärden wirken auf Wölfe nur dann beschwichtigend, wenn die beteiligten Tiere demselben Rudel angehören. Bei Auseinandersetzungen zwischen rudelfremden Tieren (Hunde!) sind sie jedoch meist unwirksam.

Herdenschutzhunde wie Kangals, die als Haushunde - also nicht in einer Herde - gehalten werden, können zwar einem Wolf durch ihr Auftreten durchaus Respekt einflößen. Jedoch sind sie durch die Domestizierung einem Wolf im Fall einer Auseinandersetzung wahrscheinlich unterlegen. Man sollte es angesichts der möglichen Verletzungen gar nicht erst dazu kommen lassen. Dies gilt auch für Kampfhunde, die entgegen der optimistischen Meinung ihrer Halter einem Wolf keineswegs ebenbürtig sind.

Sollte ein Hund zufällig oder in Verkennung der Situation mit einem Wolf aneinander geraten, könnten Halter spontan versuchen, ihrem Hund zu helfen. Dabei liefe der Halter aber Gefahr, vom Wolf verletzt zu werden.

Empfehlungen für Hundebesitzer:

  • Wer seinen Hund liebt, leint ihn in der freien Natur - v.a. in Wolfsgebieten - an!
  • Seien Sie wachsam und meiden Sie Gebiete mit bekannten Wolfsaktivitäten, insbesondere während der Dämmerung und Nacht.
  • Besonders bei Dämmerung oder Nacht keine Streifgänge abseits der Wege!
  • Nehmen Sie bei einer Wolfsbegegnung den Hund eng zu sich (am besten hinter sich) und ziehen sich langsam wie oben beschrieben zurück.
  • Sollte der Hund direkt mit dem Wolf aneinandergeraten, versuchen Sie nicht den Wolf durch körperliche Einwirkung vom Hund zu trennen! Ziehen Sie sich stattdessen zurück und lassen – so schwer es auch fällt - der Natur ihren Lauf, bis die Situation zwischen den Tieren geklärt wurde. Bringen Sie Ihren Hund dann ggf. zum Tierarzt und melden den Vorfall.


Unser Fazit: Das Zusammenleben von Mensch, Tier und Wolf ist möglich, aber anstrengend.

Unserer Ansicht nach kann das Zusammenleben von Wolf, Mensch und Nutztier nur gelingen, wenn alle Beteiligten ernst genommen werden – auch die Halter von Nutztieren, die sich täglich mit den praktischen Folgen auseinandersetzen müssen. 

Dazu braucht es funktionierende Herdenschutzmaßnahmen, die tatsächlich praktisch umsetzbar sind. Es braucht schnelle, unbürokratische Hilfe bei Rissen – und die Möglichkeit zur Entnahme einzelner auffälliger Tiere, wenn es notwendig ist. Gleichzeitig sollten wir die Rückkehr des Wolfs als Chance für einen vielfältigeren Naturraum begreifen. 

Ein tragfähiger Weg wird sich dort finden, wo Naturschutz nicht verordnet, sondern gemeinsam gestaltet wird – mit den Menschen vor Ort, nicht über sie hinweg.



Nachtrag vom 17.8.2025: 

"Wie viel Wolf ist zu viel?"

In der Zeit wurde am 15.8.25 ein sehr interessanter Artikel "Wie viel Wolf ist zu viel?" [18] publiziert, den wir im obigen Text nicht mehr berücksichtigen konnten. 


Es wurde Wert auf allgemein verständliche und zugängliche Quellen gelegt:

[1] "Niederlande melden Wolfsangriff auf Sechsjährigen", n-tv 1.8.25

[2] "Niederlande verschärfen Warnung vor Problemwolf". n-tv 2.8.25

[3] „Wolf attacks on humans: an update for 2002–2020“
https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Deutschland/Report-Wolf-attacks-2002-2020.pdf
https://docslib.org/download/1947932/1944-wolf-attacks-on-humans-an-update-for-2002-2020

[4] „Angriffe von Wölfen auf Menschen: Eine Aktualisierung für 2002 bis 2020“, wwf/nabu/ifaw 2024

[5] „Continuing recovery of wolves in Europe“, PLOS Sustainability and Transformation 2.25

[6] „Wolf möglicherweise für Risse in Löhnberg verantwortlich“, VRM 11.2.25

[7] "Zehn Wolfsrisse: Löhnberger Biohof verzeichnet hohe Verluste", VRM 28.7.25

[8] Bundesweite Schadensstatistik der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW)

 [9] „Die Rückkehr der Wölfe – Ein Statement“, Thieme Vet 2024

[10] „Ist die Rückkehr der Wölfe ein Fluch oder Segen?“, n-tv.de 30.3.25

[11] „Landschaft der Angst – Rückkehr der Wölfe hat trotzdem Vorteile", welt 8.4.25

[12] "Wölfe: EU-Parlament stimmt für Änderung des Schutzstatus", europ. Parlament 8.5.25 

[13] „Wolf in Sicht: Wie man sich jetzt richtig verhält“, n-tv.de 22.2.25

[14] „Begegnungen zwischen Wölfen und Menschen“, Wolfzentrum Hessen 

[15] „Das solltest du tun, wenn dir ein Wolf begegnet“, biorama.eu 9.2.2017

[16] „Konzept zum Umgang mit Wölfen, die sich Menschen gegenüber auffällig verhalten
- Empfehlungen der DBBW“, BfN Skript 502, 2018

[17] „Vom Blitz getroffen werden: Die Wahrscheinlichkeit ist deutlich höher, als Sie denken“, chip.de 2025  

[18] "Wie viel Wolf ist zuviel", Eine Analyse von Dagny Lüdemann und Dr. Anna Carthaus
Die Zeit 15. August 2025